Du bist, was du geerbt und gelernt hast. Teil 2

Du bist, was du geerbt und gelernt hast. Teil 2

Was haben wir geerbt?
Wie entsteht ein Lernprozess und was hat das mit Emotionen zu tun?
Was ist Stress, wie kommt er zustande und wie geht man konstruktiv mit diesem Thema um?

Wir erben unsere DNS.*

DNS-Desoxyribonukleinsäure, ein in allen Lebewesen vorkommendes Biomolekül und Träger der Erbinformation, also der Gene.
Sie ist in unseren Zellen verankert. Individuell, klar, unverfälscht.
Die physische Struktur (Zellproportion) überträgt sich auf die menschliche Funktion (Verhalten) und ist in der äußeren Erscheinung von Gesicht und Körper des Menschen ablesbar.
Das heißt, unsere angeborene genetische Veranlagung, bestimmt unsere grundlegenden Verhaltensmuster.

Lernen geschieht durch Erfahrungen, gemeinhin Sozialisierung genannt.
Auch Immanuel Kant und Johann Wolfgang v. Goethe haben unser ICH, unser Menschsein erforscht.
Kant hat die Triade des ICH durch Sozialisierung und Gene dargestellt und Goethe sagte: „Das Innere offenbart sich im Äußeren des Menschen“.

Unabhängig vom Kontext ist jede Erfahrung, die wir machen mit einer Emotion verknüpft.

Alle Erlebnisse in unserem Leben fusionieren mit einer Emotion, entsprechend der Situation positiv oder negativ. Die Sinneseindrücke wie Geruch, Duft, Geschmack, Ton, Klang, Körperempfinden, Gestik und Mimik speichert unser Gehirn gleich mit ab.

Wir treffen eine Wahl, formulieren ein Selbstgespräch und aus all dem resultiert unser Verhalten. Dieses Gesamtkonzept speichern wir in den Erinnerungsspeicher unseres Gehirns ab. Einmal getroffene Entscheidungen in speziellen Situationen gewinnen an Überzeugungskraft. Sie werden zu Verhaltensmustern, persönlichen Reaktionsmustern und zu unserer Wahrheit.

Ein Bereich in unserem Gehirn, die Amygdala, befähigt uns, immer gleichbleibend, entsprechend unserem derzeitigen Glaubenssystem zu funktionieren. Sie nimmt jede direkte sensorische Eingabe auf, scannt sie mit vergangener Wahrnehmung und veranlasst uns in Übereinstimmung mit den bisherigen Mustern zu reagieren.

Sind es positiv erlebte Situationen, genießen wir einen aufkommenden Duft, den jemand anderes noch nicht einmal als angenehm zu empfinden mag. Wir finden Menschen sympathisch, ohne sie zu kennen, weil die emotionalen Auswirkungen vergangener Erlebnisse uns diesen Vorschuss gewähren. Oder wir sind frei, eine Wahl zu treffen. Wir achten auf unsere Bedürfnisse, leben unser Naturell, Talente und Fähigkeiten und führen ein erfüllendes Leben.

Leider lernen wir in erster Linie durch Angst, Schmerz und Angst vor zukünftigen Schmerzen. Die Amygdala hat zur Priorität, diese drei Schrecken zu vermeiden. Lieber das Übel ertragen, das wir haben, als uns dem Ungewissen zu stellen. Wir vermeiden und unterdrücken unser genetisch angelegtes Naturell. Das schwächt das Selbstvertrauen und produziert Selbstzweifel, der zum Energieräuber wird. Dieser emotionale Stress wirkt sich auf unser biochemisches System aus, reduziert die Hormonaktivität, schwächt das Immunsystem und wir werden krank.

„Ich kann das heute nicht tun“ ist eine fast sichere Garantie dafür, dass ich das morgen auch nicht tun werde. Jede Vermeidung wird zu einer sich selbst erfüllenden Prophezeiung, ebenso wie jede Verleugnung.

„Ich kann es nur auf diese Weise tun“ garantiert, dass der Status quo bestehen bleibt und sich gar nichts ändert.

„Ich habe in dieser Angelegenheit keine Wahl“ steht für Vermeiden oder für Leugnen und ist vielleicht die destruktivste selbstzerstörerische, sich selbst erfüllende Prophezeiung.

Genauso gefährlich ist es jedoch, wenn ich meine Wut unterdrücken muss, oder wenn ich perfekt sein muss, oder wenn ich nicht über meine Gefühle sprechen kann oder glaube „mich versteht eh niemand“. Diese negativen Muster sind ein Teufelskreis.

Der Lernprozess

Positive Veränderungen können nur geschehen, wenn wir die Sprache – so wie wir mit uns selbst sprechen – ändern.
Unser inneres Selbstgespräch ist die Grundlage unserer Gedanken und diese erleben wir nach Ausrichtung entweder positiv oder negativ.
Richten wir unseren inneren Dialog positiv aus, schaffen wir damit eine Basis für eine positive Grundeinstellung zu allen Dingen im Außen und verändern die Frequenz unseres Systems.
Dies geschieht nicht in der einmaligen Anwendung, sondern braucht mehrfache Wiederholung und Training, um die eingefahrenen neuronalen Muster zu verändern und ein neues Selbstbild zu erschaffen.

Ein Beispiel aus meiner Praxis: Eine Klientin kam zu mir, verzweifelt und frustriert; gestresst. Sie hatte eine gut dotierte Position in einer Agentur, in der sie für den Vertrieb zuständig war. Gleich zu Beginn ihrer Tätigkeit brachte sie zwei Kunden, die feste Kunden wurden und dabei blieb es. Sie generierte zu wenig Kontakte und Leads.
Sie war gut darin sich mit anderen Menschen auszutauschen und ersten herzlichen zwischenmenschlichen Kontakt herzustellen, aber danach verlief alles im Sande.
Sprach ihr Geschäftsführer sie auf Vereinbarungen und Absprachen an, meldete sie sich am nächsten Tag krank. Wieder zurück in der Agentur, verhinderte das Tagesgeschäft klare Kommunikation. Die Stimmung sank. Je mehr Misserfolge, umso mehr Ängste und Selbstzweifel.
„Ich traue mich nicht, einen Kontakt verbindlich zu machen. Ich brauche jemanden, einen Mann, der mich unterstützt. Das gibt mir Sicherheit“, gebetsmühlenartig wiederholte sie diese Sätze.
„Ich würde ja gerne, aber...“ die ewige Wiederkehr, wie Nietzsche es nannte. Gefangen in einem Hirngespinst. Herzklopfen und Angst vor was? Vollgas mit angezogener Handbremse.
Aus einem ihr unbekannten Grund verleugnete sie ihre Fähigkeit, selbstbewusst, autark und präsent zu sein, wo sie doch so viele andere Situationen leicht und voller Vertrauen gemeistert hatte.
Woher dieses Mindset kam, wollte sie mit mir ergründen und klären. Sie war bereit, aus diesem hinderlichen Paradigma auszusteigen und ihre „Verhinderer“ in „Ermöglicher“ zu transformieren.

Wir identifizierten die beteiligten Emotionen zu dem Thema. Im weiterführenden Gespräch wurde die Verwirrung, die ihr die Zuversicht verweigerte, dass zu erreichen, was sie sich gewünscht hat, deutlich. Beim Erforschen der Ursache fiel es ihr wie Schuppen von den Augen. Sie berichtete von einem Kindheitserlebnis:

„Ich bin fünf Jahre, mein Bruder ist 12. Wir sind mit den Eltern in den Ferien in einem Haus am See. Es gibt ein Fahrrad und mein Bruder will mir das Radfahren beibringen. Das Rad ist groß, mein Bruder setzt sich hinten auf den Gepäckträger, denn er kommt mit den Füßen auf den Boden – wie Stützräder – und das fühlt sich sicher für mich an. Ich trete die Pedale und radle los. Es geht. Und irgendwann höre ich weit hinter mir die Stimme meines Bruders: Du kannst es! Und ich höre noch „du kannst ganz alleine fahren“, da stürze ich schon. Ich tue mir weh, bin wütend, traurig, alles zusammen. Ich lernte: „Mein Bruder hat mich verlassen. Fahrrad fahren ist unsicher, tut weh.“ Ich sagte mir: „Ich bin unsicher, kann das nicht. Ich werde nie die Sicherheit haben, die ich haben will“

Die Enttäuschung, verbunden mit Schmerz schwächen ihr Selbstvertrauen. Die damals gefühlte Emotion führte zu einer Wahl, zu einer Überzeugung, die fast identisch mit ihrem sich ewig wiederholenden Selbstgespräch war. Als fünfjährige vielleicht ganz hilfreich, als erwachsene Frau hinderlich.
Wie an einer Molekülkette aufgereiht, zeigten sich ihre aus dem „Fahrradfahren mit Bruder“ kreierten Verhaltensweisen und resultierenden Aktionen:

  1. Das Bedürfnis nach Sicherheit.

  2. Sie vermied Fahrradfahren.

  3. Sie entwickelte Fieber, um ja nicht an der Fahrradtour mit der Klasse teilzunehmen.

  4. Als Erwachsene brachte sie triftige Gründe hervor, am Schreibtisch bleiben zu müssen und leider nicht mit ins Grüne radeln zu können.

  5. Wenn keine Entschuldigungen mehr halfen, radelte sie widerwillig, schweren Herzens mit. Im Gepäck, die sich selbsterfüllende Prophezeiung: Der Reifen ging platt bis hin zu Stürzen.

  6. Anstatt die eigenen Bedürfnisse wahrzunehmen, lenkte sie die Aufmerksamkeit auf das Außen. „Jemand muss mein Rad aus dem Keller holen, jemand muss meinen platten Reifen aufpumpen“, u. ä.

  7. Ihr wurde ihr Opferstatus bewusst, die Verantwortung für das eigene Wohlergehen auf das Außen zu schieben. Das Außen – synonym für ihren Bruder, Chef, Kollegen, Kunde, Strukturen, Umwelt, - muss sich verändern und mir meine Bedürfnisse erfüllen. Die fehlende Sicherheit muss von Außen kommen.

Am Flipchart zeichnete ich auf, welche Phasen wir Menschen in Veränderungen durchlaufen und wie wir emotional reagieren - und in ihrem Falle, (in grün) wie sie auf ihr Problem reagiert. Dass unser Hirn Informationen aus unserer Vergangenheit speichert und die Art und Weise beeinflusst, wie wir heute über die Dinge denken, wie wir damit umgehen. Wir haben die Ursache in der Unterbewussten Ebene, „das Peng" entdeckt, die damit verbundenen Emotionen identifiziert, erfahrbar (in blau) und fühlbar gemacht, und "eingefroren."

Mit diesen Erkenntnissen stellte sie die Weichen neu. Raus aus dem Kreislauf des unbewussten kindlichen Erlebnismusters. Es folgte Akzeptanz und das befreiende Loslassen. Verantwortungsvoll wechselte sie die Perspektive und traf die Wahl: „Ich bin stolz, alleine Rad fahren zu können, ich bin stolz auf meinen Bruder, der mir zutraut, Rad fahren zu können. Ich vertraue mir.“

Erkenntnis und Fazit:

Die neu getroffene, positive Wahl schafft den bewussten und gelassenen Umgang mit ähnlich aufkommenden Situationen. Gemeinsam entwickelten wir ein unterstützendes Selbst - Coaching - Programm, damit sich die neue Wahl manifestiert. In diesem Prozess ist es wichtig, die persönlichen Reaktionsmuster noch besser kennen zu lernen und die eigene Präsenz, das Selbstvertrauen, Mitgefühl und nicht zuletzt auch den eigenen Sinn für Humor zu steigern!

Meine Klientin hat mit ihrem Geschäftsführer über ihre Erkenntnisse in unserem Coaching gesprochen. Er bestätigte, dass ihm und auch zwei aus dem Team ihr Kleinkindverhalten, wenn es um Entscheidungen und Absprachen ging, aufgefallen war. Ein Verhalten, das sich nicht zuordnen ließ und kein ebenbürtiges Gespräch ermöglichte. Und letztendlich ihre Position sogar in Frage gestellt hat.

Mit der neuen Wahl und dem neuen Selbstbild war meine Klientin nun in der Lage vertrauensvoll zu agieren und selbstbewusst aufzutreten. Ihre Kommunikation wurde klar und verbindlich. Sie blieb an den Kundenkontakten dran und stand stark für sich und ihr Unternehmen ein. Innerhalb der nächsten 2 Monate gewann sie drei Großkunden für die Agentur und generierte nun mit Freude konstant Kontakte und Leads. Da meine Klientin nun auf Augenhöhe agierte, verbesserte sich die Kommunikation mit ihrem Geschäftsführer umfassend und das Arbeitsklima wurde zum Kraftspender.

Eine Weiterentwicklung und neue Möglichkeiten zu entdecken, gelingt, wenn wir bereit sind, unsere Wahrnehmungsfähigkeit zu vertiefen und die eigenen Verhaltensmuster zu erforschen.

Mit herzlichen Grüßen, Christiane Amini

https://de.wikipedia.org/wiki/Desoxyribonukleinsäure
Mehr Hintergrund Info: Prof. Robert Sapolsky: „Gewalt und Mitgefühl“- Die Biologie des menschlichen Verhaltens
Birgitt Williams: The Genuine Contact Way
Gordon Stokes / Daniel Whiteside: Neurobiology -One Brain System, 3In1
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